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Marlen Brandenberg

Hundesitter - Das Gegenteil von "gut" ist "gut gemeint"!

Aktualisiert: 1. Mai 2021

Ich weiss, dass ich mir mit folgendem Beitrag nicht überall Freunde machen werde, aber es ist mir ein Anliegen zu diesem Thema etwas Aufklärung zu betreiben.


Hund beim Hundesitter - Hundehort - Tagesbetreuung – oder:

Das Gegenteil von GUT ist GUT GEMEINT!



Dazu muss ich etwas ausholen... In meiner Arbeit als Verhaltensberaterin für Hunde habe ich sehr viel mit "gestressten" Hunden zu tun, Hunde die müde sind, die sich komplett zurückziehen oder noch viel öfter kaum mehr zur Ruhe kommen. Vielfach sind dies gerade auch die Hunde von denen man sagt "die brauchen viel Bewegung" oder "die müssen viel beschäftigt werden".

Die Kunden die sich dann bei mir melden mit solchen Hunden klagen oft über folgende Symptome: Hund kann nicht alleine bleiben, ist geräuschempfindlich, kann sich nicht konzentrieren, kommt nicht zur Ruhe, leidet unter Hyperaktivität, jagt stark, ist berührungsempfindlich und vieles mehr. Viele dieser Hunde haben zusätzlich auch chronische Leiden wie immer mal wieder Durchfall, Allergien, Ohrenentzündungen oder ein schwaches Immunsystem...


Ich schaue meine Kunden immer ganzheitlich an, und ein 14-seitiger Anamnese-Fragebogen muss noch vor dem ersten Termin ausgefüllt an mich zurück gesendet werden. Darin hat es Fragen zum Hund, Herkunft, Gesundheit, Ernährung, "Problemverhalten" und auch zum Tagesablauf. Und darin steht immer wieder: "Mein Hund ist 1-2mal pro Woche beim Hundesitter".


Und oftmals haben gerade die Hunde starke Stresssymptome die, wenn Frauchen oder Herrchen arbeiten, in Tagesstätten betreut werden. Ich habe mir viele dieser Hundehorte und Tageshorte angeschaut, und komme unter dem Strich zum traurigen Fazit, dass die Hunde da einfach komplett überfordert sind. Das beginnt am Morgen bei der Abholung des „Dogsitters“ (gerade modern und auf Deutsch Hundesitter) im grossen Auto in dem schon 5 weitere Hunde warten bis hin zu den oft mehrstündigen Gassigängen in den Gruppen mit den Tageshunden. Zusammengewürfelte Hunde, jeden Alters, Rasse und Charakters begegnen sich tagtäglich immer wieder von neuem.

Das sind keine „Freundestreffen“. Der Hund hat nicht die Wahl, er muss dableiben, er kann nicht weg, und auch nicht ausweichen. Er muss sich der Situation stellen. Das ist mit enormem Stress verbunden.

Oft höre ich dann: „Mein Hund spielt gerne mit anderen Hunden, der freut sich dahin zu gehen“

Jaaa…. Das wünsche ich Ihrem Hund von Herzen, aber sind Sie sich da sicher? Spielt er wirklich gerne? Oder ist das eine Aneinanderreihung von Übersprunghandlungen, verrücktem Umherjagen und Mobbing auf einer Hundewiese?



Könnte der Hund denn überhaupt in Ruhe seiner Wege gehen? Meist sind so viele Hunde bei einem Hundesitter, dass ruhiges Spazieren und Schnüffeln kaum möglich ist. Die Hunde sind voller Adrenalin und pushen sich gegenseitig immer wieder hoch, wie verrückt gewordene Kinder auf 8er-Bahnen die immer und immer weiterfahren wollen.


Die sogenannten „Ruhezeiten“, die meist auch in den Tagesstätten verordnet werden, haben nicht die Qualität des Schlafes, die ein Hund für die Erholung wirklich braucht. Wenn man bedenkt, dass ein gesunder, erwachsener Hund gut 17-18h Schlaf am Tag braucht (alte Hunde und Welpen 20-22h!!) und man ausrechnet, wie lange der Hund im Hundehort ist, erreicht man NIE die Anzahl Schlafstunden die der Hund benötigt um langfristig gesund und ausgeglichen zu bleiben. Das alleine sollte schon hellhörig machen. Und um noch mal darauf zurück zu kommen: die Ruhezeiten im Hundehort von 2h über den Mittag, das sind keine Stunden in denen der Hund tief schläft, weil immer etwas läuft und er alles mitbekommt, auch was in den Nebenräumen vor sich geht. Von Qualitätsschlaf kann da keine Rede sein, und somit auch nicht von Erholung.

Neben den Spaziergängen und den „ruhigeren Phasen“ (so nenne ich jetzt mal die sogenannten „Ruhezeiten“) gehen die Hundesitter in diverse Aktivitäten mit dem Hund. Sie machen Agility, Nasenspiele drinnen und draussen, Gehorsamsübungen usw. Frust-Toleranz-Aufgaben sehe ich auch ganz oft in Videos auf den Webseiten und auf den öffentlichen Plattformen… Das soll zeigen, wie toll die Hundesitter sind und wie gut sie sich mit den Hunden beschäftigen.



Mir zeigt das jedoch nur, wie die Hunde noch mehr überfordert werden, wo der ganze Tagesablauf auch ohne diese zusätzlichen „Aufgaben & Bespassungen“ im Hundehort doch schon zu viel ist.


Die vielen Hunde, die fremde Umgebung (auch wenn Hunde mehrmals pro Woche im Hort sind, ist es trotzdem nicht ihr zu Hause), die Trainer, die Menschen die ihre Hunde holen und bringen, die Aktivitäten die mit allen Hunden abwechselnd laufen.


Oder die Hundehorte die den ganzen Tag alle Hunde zusammen in einem eingezäunten Gehege halten, und dann komplett sich selbst überlassen sind. Ein Freilaufgehege, weil „die Hunde das ja selbst unter sich ausmachen“.


Was da raus kommt ist ein gestresster Hund und ganz oft auch Hunde, die immer weniger soziale Kontakte mögen und auch zu Hause beim Besitzer langsam aber sicher beginnen andere Hunde und ev. auch Menschen nicht mehr so zu mögen wie früher.


Oder Hunde, die am Abend aufgedreht sind oder komplett erschöpft… Auch das ist ein Zeichen von zu vielen Geschehnissen am Tag.


Hunde, die stark träumen in der Nacht, und das immer wieder und jeden Tag. Das ist ebenfalls ein Zeichen von Mühe haben mit dem Verdauen des Alltags.


Das soll jetzt nicht heissen, dass jeder Hundesitter nur schlecht ist, soweit will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen… Aber für JEDEN Hund ist ein Tagesaufenthalt im Hundehort sehr anstrengend! Und wir sollten wissen, was mit dem Hund dadurch auch gesundheitlich und verhaltenstechnisch passieren kann, und zwar kurzfristig, mittelfristig und langfristig.


Das Nachmittagsprogramm verläuft dann ähnlich, erneut wird in meist grossen Gruppen wieder ein meist langer Spaziergang gemacht, häufig mit durchgehendem Freilauf und Hunden die wie verrückt durch die Gegend rennen. Auch das hat nichts mit dem eigentlichen Hund zu tun, der grundsätzlich, wenn es das Umfeld hergibt, lieber in Ruhe die Gegend erkunden würde. Den Hunden ist das jedoch meist nicht möglich, da eine Grundaufregung automatisch gegeben ist in einer grösseren Hundegruppe die fremd zusammengewürfelt wurde.



Und dann kommen diese tollen Sitz, Platz-auf-Distanz Übungen, die zeigen sollen, wie toll die Hunde den Hundesittern gehorchen, wie sie die grossen „Rudelbosse“ sind… Wenn man die Hunde ansieht, und etwas von Körpersprache versteht, sieht man, wie stark sie beschwichtigen, wie gestresst sie in diesen Situationen sind, wie gut sie es machen wollen... Und wie trotzdem der ganze Druck auf sie ein kippt.



Am Abend werden die Hunde (gut gemeinter Kunden-Service), alle wieder mit einem Auto nach Hause gefahren... Alle Hunde ins Auto rein, und im ganzen Gebiet verteilt. Einige Hunde sind durchaus eine Stunde im Auto unterwegs und erleben 10x das Stehenbleiben und Aussteigen anderer Hunde, Gebell, Gefiepe und Geheul bis sie endlich auch zu Hause sind.



Der Besitzer, der dann am Abend heimkommt, findet einen entweder todmüden Hund vor:



oder einen, der total ausser sich ist, und auch nach der Begrüssung seines geliebten Menschen kaum zur Ruhe kommt.



Beides ist auf den Tag im Hundehort zurück zu führen, auf zu viel Input, auf zu viel Aktivität, auf zu viele Reize, auf „zu viel von Allem“.


Hunde, die mehrmals pro Woche zum Hundesitter "müssen", passiert dies natürlich mehrfach hintereinander.


Wenn ich mir jetzt anschaue, wie sehr dies die Hunde verändert, wie viele Kunden ich habe die zu mir kommen, weil sie ihren Hund nicht mehr verstehen, weil er plötzlich nicht mehr isst, oder draussen alles zusammen frisst, weil er an der Leine nur noch zieht, jeden Hund anbellt und begonnen hat jedes Auto und jedes Fahrrad zu jagen... Hunde die nicht mehr zur Ruhe kommen, die in der Wohnung umherwandern... nicht mehr alleine bleiben können usw.


Die zeigen uns alle sehr deutlich, dass ihr Tagesablauf einfach zu viel ist, mehr als zu viel. Und wenn Frauchen oder Herrchen an den Tagen wo es/er zu Hause ist dann das schlechte Gewissen plagt und an diesen Tagen noch 2-3h mit dem Hund draussen verbringt, am Joggen oder in diversen Hundeschulen, dann geht’s meist nicht mehr lange gut.


Warum tun wir das den Hunden an? Weil wir es gut meinen! GENAU!

Und darum kann man auch keinem Frauchen oder Herrchen einen Vorwurf machen... Alle meinen es gut, möchten den Hund nicht gerne alleine zu Hause lassen (mittlerweile kann es der Hund meist auch nicht mehr) und erhoffen sich durch die Abgabe beim Hundesitter eine kompetente und gute Betreuung. Aber genau daran fehlt es in den meisten Fällen. Die Hunde werden überfordert, und beginnen mittel und langfristig immer mehr Stresssymptome zu zeigen bis hin zu chronischen Krankheiten wie z.B. Allergien oder Ohrenentzündungen oder Hot-Spots die sie früher nie hatten.


Aber niemand kommt auf die Idee, dass der Hundehort einfach zu viel ist. Obwohl es alle gut meinen, tun wir dem Hund damit in den seltensten Fällen etwas Gutes.


Wir dürfen getrost Hunde auch mal in Ruhe lassen, sie dürfen auch gut und gerne mal einige Stunden alleine zu Hause verbringen, weil sie das Doppelte bis Dreifache an Schlaf wie wir Menschen benötigen. Und diesen Schlaf bekommen sie einfach nicht, wenn sie den ganzen Tag „unterwegs“ sind. Bereits 1-2 Tage zu wenig Schlaf pro Woche, macht die Hunde anfälliger für Verhaltensprobleme und schwächt das Immunsystem enorm. Überlegen Sie mal selbst, was mit Ihnen passiert, wenn Sie mehrfach in der Woche anstelle von 8h Schlaf nur noch die Hälfte bekommen… Und dazu tagsüber noch einen Spitzenjob erledigen müssen… Unseren Hunden geht es ganz oft so, aber nicht nur 2, 3 Wochen, sondern oft jahrelang, bis es dann halt nicht mehr geht.


Am Ende meines Beitrags möchte ich all diesen Hundesittern danken, die bereits am Umdenken sind, Hunde nicht mehr in Gruppen ausführen, auf die jeweiligen Bedürfnisse der Hunde eingehen und die Besitzer über Ruhe- & Schlafphasen sowie über die angepasste Aktivität aufklären.

Danke, dass es Euch gibt, weil Euch braucht es!



Text: www.tschigi.com Marlen Brandenberg

Fotos: alle lizenziert von Adobe Stock

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